Die Bundespolitik behandelt derzeit ein neues Sanierungsverfahren für dauerhaft überschuldete Personen: Am Ende einer Pfändungsphase soll es einen Schuldenschnitt geben.
Verständlicherweise machen sich einige Parlamentsmitglieder Sorgen um die Gläubiger. Sie haben Angst vor den Folgen: Dass KMU auf ihren Rechnungen sitzen bleiben. Und davor, dass ein solches Verfahren die Zahlungsmoral verschlechtere.
Diese Sorgen muss man ernst nehmen. Es gilt aber, die Grössenverhältnisse zu berücksichtigen.
Erstens macht diese Schuldenkategorie einen kleinen Anteil an den Schuldensummen aus. Auf jeden Fall bei der Zielgruppe des neuen Verfahrens: den dauerhaft Verschuldeten.
Zweitens handelt es sich – auch ohne das neue Verfahren (!) – zu grossen Teilen um Schulden, die der Gläubiger meist nicht eintreiben kann. Auch wenn er betreibt, erhält der Gläubiger äusserst selten Geld. Die Verschuldeten, die zu diesem Sanierungsverfahren zugelassen werden, leben knapp am betreibungsrechtlichen Existenzminimum und der gepfändete Betrag des Lohnes ist klein.
Bei Auszahlung des gepfändeten Geldes werden zuerst die privilegierten Forderungen (v.a. Krankenkassenprämien) bedient, die sogenannten Drittklassgläubiger erhalten bei einer Pfändung in diesen Fällen nur selten etwas.
Dauernd zahlungsunfähig ist, wer längerfristig seine offenen Rechnungen nicht mehr bezahlen kann. Die allermeisten Zahlungsausstände fallen nicht in diese Kategorie.
Gemäss der Zentralstelle für Kreditiformationen (ZEK) stehen Kredite von 9 Milliarden CHF aus. Die Mitglieder von Inkasso Suisse eröffnen jährlich Forderungen im Umfang von 1.27 Milliarden CHF. Die Studie zur Regulierungsfolgenabschätzung (RFA) im Auftrag des Bundes rechnet mit Forderungen im Umfang von 2-38 Millionen, die in Folge des neuen Verfahrens definitiv abgeschrieben werden müssten. Es geht also um Promille.
Das macht Sinn: Die meisten Menschen können ihre Zahlungsrückstände und Kredite in einer überschaubaren Zeit zurückzahlen und sind nicht strukturell überschuldet. Sie erhalten keinen Schuldenschnitt.
Der Vergleich mit dem Ausland zeigt, dass ein Sanierungsverfahren mit Schuldenschnitt keine Auswirkungen auf die Kreditzinsen hat. Schliesslich sind Ausfälle in den bestehenden Zinsen bereits eingepreist. Ein Effekt dürfte zudem sein, dass die Kreditfähigkeitsprüfung ernsthafter vorgenommen wird.
Auch die Effekte auf die Zahlungsmoral dürften gering sein. Niemand wird seine Rechnungen nicht bezahlen, um dann mehrere Jahre auf dem niedrigen Niveau des betreibungsrechtlichen Existenzminimums leben zu müssen. Das tut sich niemand freiwillig an.
Die eingehende gerichtliche Prüfung der Situation zu Beginn und bei Abschluss des Verfahrens wird dafür sorgen, dass eine Schuldbefreiung nicht leichtfertig ausgesprochen wird.
(Autor: Pascal Pfister / Bild: StockSnap)
Wie TWINT Menschen in die Schuldenfalle lockt.
Jonas ist 19 Jahre alt. Er hat bereits einen Lehrabbruch hinter sich und ist verschuldet und hatte eine Beistandschaft. Mit Hilfe einer Schuldenberaterin kam er wieder auf die Beine. Er hat eine neue Lehrstelle und verdient 1400 Franken. Die Zeichen standen gut.
Dann kam der Schock: Jonas hat das «buy now, pay later»-Angebot von Twint benutzt und innerhalb von drei Monaten erneut 3000 Franken Schulden angehäuft. Die Zahlfrist von 30 Tagen konnte er nicht einhalten. Und weil Swissbilling auf jede der vielen kleinen Rechnungen mindestens 30 Franken Mahngebühr draufschlägt, belaufen sich die Schulden von Jonas jetzt auf 4500 Franken. Innert kurzer Zeit sind seine Schulden um die Hälfte angewachsen!
Unter dem Radar des Konsumkreditgesetzes
Swissbilling ist eine Tochterfirma der Cembra Money Bank. Sie steckt hinter dem «buy now, pay later»-Angebot von Twint. Die Vergabe von Konsumkrediten ist in einem eigenen Gesetz geregelt. Dieses gilt aber nur für Beträge über 500 CHF und bei einer Rückzahlungsfrist von mehr als drei Monaten. Das Twint-Angebot fliegt unter dem Radar des Konsumkreditgesetzes, da die Zahlung innert 30 Tagen fällig ist.
Vor einer Kreditvergabe muss der Kreditgeber die Tragfähigkeit prüfen. Kann der Kredit nicht in 36 Monaten zurückbezahlt werden, dann darf er nicht vergeben werden. Daran muss sich Swissbilling nicht halten. Die Firma verweist zwar in ihren Geschäftsbedingungen auf eine Kontrolle der Zahlungsfähigkeit. In der Praxis, so zeigt aber das Beispiel von Jonas, erhalten auch Menschen den faktischen Kredit, welche sich diesen gar nicht leisten können.
Kunden werden in die Mahngebührenfalle gelockt
Um auf Rechnung zu bestellen, muss man bei Twint nur eine Einstellung einschalten. Die Folgen sind wohl den wenigsten bewusst. Werden die Zahlungsfristen nicht eingehalten, dann wird bereits für die erste Mahnung eine Gebühr von mindestens fünf Franken erhoben und mit jeder weiteren Mahnung beinahe verdoppelt. Damit verteuert sich der Einkauf in Kürze massiv. Jonas schuldete in Kürze 150 Prozent des Betrages der bezogenen Leistungen.
Jonas hat nicht viel nachgedacht. Er ist aber auch ein leichtes Opfer. Das Gesetz hat ihn nicht geschützt und schon steckt er in der Schuldenfalle. Seine Bestellungen haben sich schnell verteuert und er bezahlt dafür einen hohen Preis. Definitiv einen zu hohen. Es braucht einen besseren Schutz.
Autor: Pascal Pfister / Bild: Yaryna Bondarchuk
Der Bundesrat verabschiedet die Vorlage für ein neues Sanierungsverfahren für natürliche Personen
Wer überschuldet ist und keine Perspektive hat, jemals wieder aus den Schulden zu kommen, soll neu auch in der Schweiz ein Verfahren durchlaufen können, an dessen Ende eine Restschuldbefreiung steht. Der Bundesrat hat heute die Botschaft zur Änderung des SchKG (Sanierungsverfahren für natürliche Personen) verabschiedet. Damit erhalten unzählige überschuldete Haushalte eine Perspektive. Das ist eine Chance für Gesellschaft und Wirtschaft.
Sozialpolitisch und volkswirtschaftlich sinnvoll
Die meisten überschuldeten Haushalte haben heute keine Möglichkeit aus der Schuldenspirale auszusteigen. Diese mangelnde Perspektive führt zu gesundheitlichen Problemen, familiärer und beruflicher Desintegration. Dies zeiht hohe Folgekosten für die Betroffenen aber auch für die Allgemeinheit nach sich. Mit der Revision des SchKG sollen diese Personen nun die Möglichkeit erhalten, nach einer dreijährigen Abschöpfungsphase einen Schuldenschnitt zu erhalten. Damit wird ihnen ein Neustart ermöglicht. Das lohnt sich auch für die Kantone, weil die Personen weniger Sozialkosten verursachen und wieder Steuern zahlen können, wie auch die Regulierungsfolgeabschätzung zeigt.
Breite Unterstützung von Kantonen, Verbänden und Parteien
Es erstaunt deshalb nicht, dass die Gesetzesrevision in der Vernehmlassung grosse Unterstützung von Kantonen, Verbänden und Parteien erhalten hat. Einzelne Kritikpunkte hat der Bundesrat in der nun verabschiedeten Botschaft aufgenommen. So wurde das Verfahren nochmals vereinfacht: Die Kantone können bei der Umsetzung auf bereits existierende Strukturen aufbauen. Dies gilt auch für die sozialarbeiterische Begleitung. Mit dieser kann sichergestellt werden, dass die Verfahren zu nachhaltigen Ergebnissen führen und die Überschuldeten den Neustart auch wirklich nutzen können.
Die Schuldenberatung Schweiz fordert das Parlament auf, die Gesetzesänderung nun rasch zu verabschieden, damit das neue Verfahren möglichst bald zur Anwendung kommen kann.
Alexandra Odermatt arbeitete als Rettungssanitäterin. Nach einem Arbeitsunfall geriet sie in die Schulden. In der Sendung SRF Dok sagt sie: «Es hätte einfach ein paar Monate Überbrückung gebraucht, damit ich nicht in die Situation gerate, in der ich jetzt stecke.»
Übergänge zwischen Lebensphasen bergen Verschuldungsrisiken. Der Auszug aus dem Elternhaus, die Gründung einer Familie, aber auch Scheidung, Unfälle oder Arbeitsplatzverlust. Bei den meisten Menschen mit Schulden gehen die Probleme auf ein solches Lebensereignis zurück (vgl. SBS-Statistik S. 14.)
Beispiel Scheidung: In ihrer aktuellen Studie «Scheidung als soziales Risiko» schreiben Fluder, Kessler und Schuwey: «Die Einkommenseinbussen [nach einer Scheidung] (sind) circa drei bis fünf Jahre nach der Trennung mehrheitlich überwunden» (S.85). Eigentlich eine gute Aussicht. Aber: In diesen Übergangsjahren besteht ein akutes Risiko, in eine Verschuldung abzurutschen.
Die Frage lautet also: Wie können wir solche Übergänge besser managen? Wie können wir die betroffenen Menschen besser unterstützen, dass sie erst gar nicht in die Schuldenspirale reingeraten? Diesen Fragen widmen sich die 9. Oltner Verschuldungstage der FHNW unter dem Titel: «Überschuldung: Biografische Verläufe und Übergänge als Anstoss?» und insbesondere das Podium vom 14. November morgens.
(Autor. Pascal Pfister)
Wechselwirkungen zwischen Suchterkrankungen und finanziellen Problemen sind zwar bekannt, aber wie diese Problemlast von Fachpersonen in der Beratungspraxis der Sucht- bzw. der Budget-/Schuldenberatung wahrgenommen und angegangen wird, war bis anhin unbekannt. Die sprachregionalen bzw. nationalen Fachverbände der Sucht-, Budget- und Schuldenberatung gingen in dem Pilotprojekt «Dualproblematik Suchterkrankungen und prekäre Finanzen» dieser Frage nach. Das Projekt wurde mit Geldern des Nationalen Alkoholpräventionsfonds sowie dem Programme intercantonal de lutte contre la dépendance au jeu unterstützt.
Das Pilotprojekt umfasste eine Literaturanalyse, Onlineumfragen bei Fachpersonen sowie bei Betroffenen und abschliessende Workshops.
Die Resultate des Pilotprojekts liegen nun vor und zeigen, dass es einigen Handlungsbedarf gibt. So wurde z.B. festgestellt, dass
Die involvierten Fachverbände erarbeiten aktuell ein neues Projekt, um bestehende Schwachstellen im Versorgungssystem anzugehen, die auch die Haltungen der beteiligten Fachpersonen einschliessen.
Das Parlament hat vier Änderungen beschlossen. Der Bundesrat hat nun die Termine für das Inkrafttreten festgelegt.
Sowohl der Anteil der überschuldeten Haushalte mit Ausständen bei der Krankenkasse als auch der Umfang dieser Schulden haben in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen, wie Schuldenberatung Schweiz auf der Grundlage seiner Verbandsstatistik konstatieren muss. Die beschlossenen Änderungen sind sehr zu begrüssen.
Die neue Publikationsreihe der CMS startet mit dem Thema Schulden. Vielen Dank für’s ins Licht rücken dieses manchmal etwas unterschätzten sozialen Problems.
Schulden bestehen in vielen Haushalten. Problematisch werden sie dann, wenn ihre Rückzahlung erschwert ist. Die neue Publikation mit Beiträgen von Fachpersonen und Betroffenen zeigt auf, wie Schuldenspiralen entstehen und formuliert Empfehlungen an Politik und Behörden.
Mit Beiträgen von Jürg Gschwend und Agnes Würsch (Plusminus), Pascal Pfister (Schuldenberatung Schweiz) und anderen.
Hier kann die Publikation kostenlos online gelesen werden.
Verschuldete Personen in der Schweiz leiden unter mehr Stress, Unzufriedenheit und Angst- und Depressionsgefühlen. Das zeigt die Auswertung von Daten einer Längsschnitterhebung bei 20’000 Individuen über fast 20 Jahre (Henchoz, Coste und Herzig). Der Zusammenhang von Geldsorgen, Schulden und Krankheit ist empirisch bewiesen. Auch international: Überschuldung begünstigt psychische Erkrankungen und körperliche Beschwerden. Eine gross angelegte finnische Studie zeigt ein erhöhtes Risiko auch für chronische Krankheiten wie Diabetes, Herzkrankheit und Asthma (IFF Überschuldungsradar).
Krank sein kostet. In der Schweiz sind längst nicht alle Kosten über die Krankenkassen gedeckt. Gerade ärmere Haushalte haben zudem aus Spargründen oft hohe Franchisen und müssen im Krankheitsfall einen grossen Teil der Rechnungen selber bezahlen. Ein Drittel der verschuldeten Ratsuchenden hat nicht bezahlte Gesundheitskosten im Schuldenportfolio. Durchschnittlich 3227 CHF (SBS Statistik). Um Schulden zu vermeiden, verzichten Betroffene oft auf eine Behandlung.
Ein Forschungsteam der Universitätskliniken Genf untersuchte im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) den Verzicht auf ärztliche und zahnärztliche Leistungen. Dabei zeigte sich, dass sozioökonomisch benachteiligte Personen besonders häufig Gesundheitsleistungen nicht in Anspruch zu nehmen. Dieser Verzicht kann negative gesundheitliche Folgen nach sich ziehen und die Lebenssituation der Betroffenen verschlechtern. Der Bericht empfiehlt daher, auf verschiedenen föderalen Ebenen Massnahmen zu prüfen.
Aus Sicht der Schuldenberatung ist klar: Es braucht realistische Sanierungs-Möglichkeiten, um aus der Schuldenspirale herauszukommen. Der Teufelskreis von Schulden und gesundheitlichen Problemen führt zu zu hohen persönlichen und gesellschaftlichen Kosten. Das Gemeinwesen, die Kantone und Gemeinden haben deshalb ein grosses Interesse, dass die Revision der Sanierungsverfahren umgesetzt wird und mehr Menschen die Chance auf einen Neustart erhalten.
(Autor: Pascal Pfister)
Hinfallen, Aufstehen, Weitergehen. Die Management-Literatur ist vollen Lobes für die US-amerikanische Kultur des Scheiterns (z.B. hier). Scheitern gilt dort als notwendiges Beiprodukt der Risikofreudigkeit, die Innovation und unternehmerischen Erfolg hervorbringt. Bei uns hingegen gilt Scheitern als moralisch verwerflich. Man muss dafür büssen. Der kulturelle Umgang mit dem Scheitern führt dazu, dass in den USA Überschuldete rasch eine zweite Chance erhalten, während sie in der Schweiz oft bis ans Lebensende und darüber hinaus in den Schulden gefangen bleiben.
In den USA ermöglicht man Überschuldeten einen «fresh start», eine sofortige Restschuldbefreiung unter «Chapter 7». Die zentrale Idee hinter diesen schnellen Entschuldung ist, dass Überschuldung ein «Marktversagen» darstellt und Überschuldete schnell wieder in den Markt integriert werden sollen. Dabei werden insbesondere kommerzielle Gläubiger in die Pflicht genommen, weil diese das Risiko der Zahlungsausfälle abschätzen und über die Preise weitergeben können (vgl. Heuer in Mattes S. 174).
Anders in der Schweiz: Hier ist man selbst nach einem Privatkonkurs lebenslang mit seinen Schulden konfrontiert. Die Verjährungsfrist von Verlustscheinen beträgt 20 Jahre und gilt lebenslänglich, wenn sie vom Gläubiger rechtzeitig unterbrochen wird. Für Totschlag und schwere Körperverletzung beträgt die Höchststrafe zehn Jahre. Wirtschaftsdelikte wie Veruntreuung und Betrug oder eine Erpressung werden mit maximal fünf Jahren bestraft. Selbst die lebenslängliche Freiheitsstrafe ist begrenzt. Eine verurteilte Person soll sich resozialisieren können.
Auch einer verschuldeten Person sollte dieses Recht zustehen, nämlich indem die Schulden nach einer gewissen Zeit verwirken und sie wirtschaftlich und sozial wieder am Leben teilhaben kann. «Die Möglichkeit der Entschuldung ist zunächst für den Schuldner und seine Familie ein Gebot der Menschenwürde,» schreibt Prof. Meier (hier). Überschuldete sind gescheitert. Mit ihrer Ehe, ihrer Selbstständigkeit, ihrem Finanzplan. Warum auch immer. Jede Person verdient, so Meier, in ihrem Leben eine zweite Chance, einen «fresh start». Mit der Revision des Schuldbetreibungs- und Konkursgesetzes (SchKG) sollen mehr Schweizerinnen und Schweizer diese bekommen.
Autor: Pascal Pfister